Arge Ja zur Umwelt, Nein zur Atomenergie



Die EU am Weg zur atomaren Supermacht

Die EU auf dem Weg zur atomaren Supermacht

Und wir dürfen nicht einmal darüber abstimmen!

von Heinz Stockinger, PLAGE (Plattform gegen Atomgefahren)

Nach den tausendfachen Overkill-Kapazitäten des Kalten Krieges und nach beginnender atomarer Abrüstung in den 90ern sind wir heute Zeugen einer neuen, unkontrollierbareren Verbreitung von Atomrüstung. Die Hauptmacht USA und in ihrem Gefolge auch viele andere Länder scheren sich um Verringerung der Atomarsenale keinen Deut mehr. Die zivile Atomenergienutzung wird wieder vorangetrieben, und der Vertrag zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen (NPT) liegt praktisch auf Eis. Die Rolle der EU dabei wird vom offiziellen Österreich einschließlich der meisten Medien, totgeschwiegen. Betroffen sind wir aber, und zwar aktuell über die vorliegende EU-Verfassung, und über den EURATOM -Vertrag. Betroffen sind – wenn auch kaum zusätzlich in einem besonderen Status wie dem der Neutralität – alle EU-Staaten, und das spielt eine erhebliche Rolle für die Welt.

EU-Rüstungsagentur ja, Friedensagentur nein!

Der EU-Verfassungsvertrag verpflichtet alle 25 Mitgliedstaaten zur Aufrüstung (Art. I-41,3). Es ist etwas Erst- und Einmaliges, so etwas in eine Verfassung zu schreiben. Betrieben wird die Aufrüstungsverpflichtung durch ein “Europäisches Amt für Rüstung und Verbesserung der militärischen Fähigkeiten“ (Rüstungsagentur). Der Gedanke an ein Gegenstück, eine EU-Friedensagentur, wo nicht die ohnehin einflussreiche Rüstungsindustrie, sondern Friedens- und Konfliktforscher und Nichtregierungs-Organisationen einen institutionellen Arm bekämen, kommt heute nicht einmal mehr den Grünen Johannes Voggenhuber oder Peter Pilz. Anderen Parteien, und einer österreichischen oder einer sonstigen Regierung schon gar nicht.

Damit stehen wir vor zwei Fakten, die allein für sich schon eine breite Debatte über die EU-Verfassung erfordern würden und eine Volksabstimmung wünschenswert machen, zumal die österreichische Neutralität davon gravierend betroffen ist: Aufrüstungspflicht, gestützt auf ein mächtiges Instrument (Rüstungsagentur), hingegen keinerlei Abrüstungspflicht, nur allgemeine Bekenntnisse zur Konfliktvorbeugung und Friedensschaffung ohne konkretes Instrumentarium. Nicht einmal für eine ferne Zukunft ist die Pflicht zu nuklearer Abrüstung festgehalten.

Weichenstellungen für eine gesamteuropäische Atommacht

Mit Frankreich und Großbritannien sind zwei große EU-Mitgliedsstaaten nuklear bewaffnet. Politische und militärische Verantwortliche in der EU haben seit längerem im Stillen die Weichen in Richtung einer gesamteuropäischen Atommacht gestellt:

Auffällig ist, dass in der Öffentlichkeit die Wörter„atomar“ oder „nuklear“ vermieden werden. Die Polit-, Militär- und PR-Strategen wissen: „gemeinsame Atomstreitmacht“, „europäische Kernwaffen“ oder „EU-Atombombe“ würden bei Millionen von Europäern augenblicklich und nachhaltig ganz andere Assoziationen wecken als die Begriffe „europäisches Sicherheitsbündnis“ oder „gemeinsame europäische Rüstungsanstrengungen“. Und „natürlich“ hält auch das gesamte offizielle Österreich hier still und nennt die Dinge nicht beim Namen.

Bedeutung für einen Atomausstieg

Sicher ist, dass bei einer gemeinsamen EU-Atomstreitmacht die zivile Atomenergienutzung in der EU festgeschrieben ist. Es wäre ja „unwirtschaftlich“, Plutonium in eigenen militärischen Reaktoren zu erzeugen, wenn man es aus „zivilen“ Kraftwerken kriegen und gleichzeitig Strom gewinnen kann. Und es wäre tatsächlich dumm, solche militärischen Zwecke nicht so lange wie möglich hinter der trefflichen Abschirmung „friedlicher“ Atomkraft zu verbergen. Das dürfte auch der uneingestandene Hauptgrund dafür sein, dass der EURATOM-Vertrag von 1957(!), der so bequem die zivile Infrastruktur (AKWs, Uranbeschaffung, Atommüllaufbereitung usw.) auch für militärische Zwecke absichern kann, im Zuge der jetzigen ersten EU-Verfassungsgebung nicht reformiert worden ist.

Es scheint so, als wollten nicht nur die Volksvertreter/ -innen in Österreich gar nicht wissen, wo der Zug, auf dem das Land mitfährt, letztlich landet. Auch viele kritische Bürger wollen den Sprung aus einem Status in den gegenteiligen nicht wahrhaben: von militärisch und zivil atomfrei zur Teilhabe an einer militärischen und zivilen Atommacht! Diese Verdrängung verwundert nicht. Die Erschütterung eines beträchtlichen Teils des österreichischen Selbstverständnisses würde einen in Konflikt mit wesentlichen Loyalitäten bringen.

Die EU-Verfassung enthält auch Fortschritte. Doch es gilt, endlich den Kopf aus dem Sand zu nehmen und die gefährlichen Tendenzen zu erkennen. Keine Volksabstimmung und damit keine breite Diskussion über die EU-Verfassung ist eine beispiellose demokratiepolitische Kapitulation aller vier Parlamentsparteien. Einzig der ÖGB, die Jungsozialisten und die Wiener Grünen treten für eine Volksabstimmung ein.

Auch wenn die österreichischen Bürger kurzfristig gegen die Walze und Blockade des Establishments keine Chance gegen diese EU-Verfassung haben: sie haben schon den Einstieg in die so genannte „friedliche“ Nutzung der Atomenergie verhindert. Es ist so, wie es der französische Schriftsteller André Gide mit Blick auf den möglichen atomaren Holocaust formuliert hat: „Die Welt wird, wenn überhaupt, einzig von Widerständigen gerettet.“

Dieser Artikel erschien auch in den “Zeitfragen” Nr. 10, März 2005

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