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Freihandel - die neue Art der Kolonialisierung

Kulturelle Vielfalt statt überall das Gleiche

Der Freihandel ist das neue Kleid der Kolonialisierung

Hans P. Aubauer, 1090 Wien
Mail: Hans.Peter.Aubauer "at" univie.ac.at

I. Vereinheitlichung durch Kolonialisierung.

Früher reiste man, um fremde Länder und Kulturen kennen und lieben zu lernen. Wo immer man aber heute hinfährt, überall die gleichen Hässlichkeiten; die Landschaft zersiedelt und von Straßen zerstückelt; Reste ehemals harmonischer Ensembles inmitten gleichförmiger seelenloser Bauten; Umweltzerstörung, Abfallhalden und eine uniforme Pseudokunst, die mit ihrer zufälligen Form dem Abfall immer ähnlicher wird; ein explodierender Verkehr, der jeden Freiraum belegt; entwurzelte Menschen aus aller Herrn Länder, die ohne Bezug zum Land mit allen rechten und unrechten Mitteln um ihr Überleben kämpfen; aber auch die ausbeutenden Geschäftemacher. Ein Niedergang des Rechts, des friedlichen Miteinanders und der Familien, sowie immer mehr Angst und Gewalt. Heute finden sich Mafia-Aktivitäten auch in Deutschland und ethnische Grabenkämpfe in nahezu jeder Nachbarschaft. Die eigenständigen Traditionen, nationalen Kulturen und Geschichten werden gezielt verdrängt von einem übermächtigen globalen Lebensstil, der sich die Bezeichnung Multikultur und damit den einstmals positiv besetzten Begriff Kultur anmaßt.
Dahinter steht ein Fundamentalismus, der schon Ende des 15. Jahrhunderts geboren wurde, ausgelöst durch technische Entwicklungen in der Segelschifffahrt: Auf der einen Seite ermöglichten der Seekompass, Astrolabium und Uhr die genaue Orientierung und auf der anderen Seite erlaubte die gemischte Besegelung mit drei Masten und Heck -statt Seitenruder- das Kreuzen gegen den Wind. Erstmalig konnten die küstennahen Gewässer verlassen werden; man segelte quer über die Meere und erreichte nicht nur andere Kontinente, sondern drang in sie ein und beutete sie aus. Es ging aber nicht allein darum den Bürgern der neu entdeckten Länder die Rohprodukte zu entreißen, sondern immer auch darum in ihre Kultur einzubrechen, ihr die eigene Lebensart aufzuzwingen, oder sie zu vernichten:

Noch vor dem Antritt der ersten Reise von Christoph Columbus (am 3. August 1492, auf der er am 12. Oktober 92 die Insel Guanahani der Bahamas entdeckte) erklärten sich die spanischen Herrscher (Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon) zu Herren der Ozeanischen Meere und sicherten sich (am 17. Mai 92 im Vertrag von Santa Fe mit Columbus) wortwörtlich:
"… neun Zehntel der Waren jedweder Art zu, seien sie Perlen, Edelsteine, Gold, Silber, Gewürze und andere Dinge, die innerhalb des genannten Admiralitätsbereiches (der entdeckten Gebiete) gekauft, getauscht, gefunden und erworben werden…"
- ein Zehntel davon konnte sich Columbus behalten. Am 4. Mai des nächsten Jahres 1493 schloss sich Papst Alexander VI mit seiner "Bulle Inter ceterae" an, um sicher zu gehen, daß wörtlich :
"... der katholische Glaube und die christliche Religion … verherrlicht und überallhin verbreitet werden, daß man sich um die Rettung der Seelen bemüht und die barbarischen Völker unterworfen und zum christlichen Glauben gebracht werden... die genannten Länder und Inseln und deren Bewohner (seien) zu unterwerfen und diese mit Hilfe der göttlichen Barmherzigkeit zum katholischen Glauben zu bekehren…".
In der Folge wurden die Indianervölker und ihre vielfältigen Kulturen auf entsetzliche Weise vernichtet, wie dies heute im Irak, oder Afghanistan geschieht und dem dazwischen liegenden Iran droht.

II. Der Freihandel, das neue Gesicht des Kolonialismus

Damals begann der globale Kolonialismus, die Aneignung der Naturressourcen und Menschen anderer Kontinente, der heute nur sein Gesicht und seine Argumente gewandelt hat. Der Niederländer Hugo Grotius formuliert 1604 in einem Rechtsgutachten für die Niederländische Ostindien-Kompanie erstmalig die "Freiheit der Meere" (mare liberum), in denen alle Nationen das Recht hätten, sie zur Handelsschifffahrt zu nutzen. Wenn aber alles allen gehört, dann nur den brutalsten Mächtigen unter ihnen. Unzählige Kriege um die Vorherrschaft auf den Meeren waren die Folge und Kriege um Naturressourcen sind es heute. Denn aus der Freiheit der Meere ist inzwischen die Freiheit des Marktes geworden - zu Lasten unserer Freiheit, der der Menschen. Zum Zweck ihrer Ausbeutung sollen die Menschen heute nicht dem katholischen Glauben, sondern dem Glauben an den Freien Markt unterworfen werden: Sein Glaubensinhalt könnten folgende zehn Glaubenssätze charakterisieren:

  1. Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es den Menschen gut.
  2. Der Wirtschaft geht es gut, wenn sie (d.h. ihr Sozialprodukt) wächst.
  3. Wirtschaftswachstum bringen vor allem die "Komparativen Kostenvorteile" der internationalen Arbeitsteilung: Jedes Land soll nur produzieren, was ihm mit weniger Kosten gelingt, als jedem anderen, und das Übrige einhandeln.
  4. Dazu muß der Handel grenzenlos frei und die Verkehrskosten müssen niedrig sein: Vier "Grundfreiheiten" des Handels von Waren, Dienstleistungen, Kapital und der Niederlassung sollen dies gewährleisten.
  5. Die Politik hat nur noch für "Sicherheit und Ordnung", ausreichend niedrige Steuern und Produktionsstandards, hohe Förderungen und vor allem mit einer geeigneten Außen- und Verteidigungspolitik für billige Naturressourcen zu sorgen.freihandel als neues Kleid der Kolonialsierung
  6. Löhne, Umweltschutz, Bildung, Arbeitsplätze und ein Sozialsystem müssen leistbar sein.
  7. Es ist im allgemeinen Interesse, daß sich jeder Mensch nur um die
    eigenen Interessen und um nichts anderes kümmert.
  8. Damit die Arbeit billig und sowohl Nachfrage als auch Sozialprodukt groß sind, müssen das Arbeitskräfteangebot und die Bevölkerungsdichte hoch sein.
  9. Den Armen geht es besser, wenn die Reichen reicher werden, um mehr Arbeitsplätze schaffen zu können.
  10. Aller Segen kommt von der Selbststeuerung des Marktes durch die unbehinderte Konkurrenz aller Anbieter und Nachfrager.

III. Die Wirkungen des Freihandels auf reiche Länder: einförmiger Konsumismus auf Kosten anderer

Dieser globale Freie Markt bemächtigt sich immer mehr des täglichen Lebens und ersetzt national oder regional eigenständige Kulturen durch einen einheitlichen Konsumismus mit etwa fünf Folgen für reiche Industrieländer:
1) Die Abhängigkeit von einem überall gleichen standardisierten Konsum, der von wenigen weit entfernten Versorgungszentralen kommt: Die Kultur weicht dem Konsum, der das Leben uniformiert. Denn die importierten billigen Massenprodukte verdrängen die inländischen und erzwingen die Vereinheitlichung des Angebots von Gütern und Kulturprodukten. Nicht einmal die eigene Produktion kann sich um die Interessen der eigenen Bürger kümmern. Sie muss sich an den Interessen des großen Weltmarktes orientieren, um rentabel sein zu können. Kooperation und Engagement für die Gemeinschaft schwinden. Gleichzeitig vereinsamt der Einzelne und ist immer mehr auf sich allein gestellt. Nichts ist mehr ohne Geld zu erhalten.
2) Eine fremdbestimmte, entwürdigende Arbeit, um sich diesen Konsum leisten zu können: wie Sklaven werden die Tüchtigen in jungen Jahren ausgenutzt, um im Alter entlassen zu werden, wenn die Kräfte nachlassen. Weniger Tüchtige, Benachteiligte oder jene, die sich nicht so ausbeuten lassen wollen, wie ärmste Immigranten, erhalten in demütigender Weise gar keine Arbeit.
3) Der Mittelstand bricht weg und die Gesellschaft zerfällt in Arme und Reiche, die einander immer mehr misstrauen und bekämpfen.
Äußere Zeichen dafür sind festungsartige reiche und müllartige arme Gettos.
4) Die Freiräume außerhalb der Arbeit und des Konsums verschwinden: Es gibt immer weniger Zeit, Kraft, Geld oder Naturerholungsräume für konsumfreie Kontakte, Zuhören, Überdenken, Lesen, Erleben oder Regeneration. Es gibt immer weniger Möglichkeiten, das gemeinschaftliche Leben mitzugestalten.
5) Für den Raub natürlicher Ressourcen aus anderen Ländern wird ein hoher Preis bezahlt: vor allem die Mitschuld am Elend in den armen Ländern, aber auch das militärische Engagement in ihnen, Immigration, importierte Kriminalität, Terror und Einschränkung der eigenen Freiheitsrechte zur angeblichen Terrorbekämpfung.

IV. Die Wirkungen des Freihandels auf arme Länder: Elend und Gegenwehr

In den armen, meist agrarischen Ländern bringt die Marktfreiheit dagegen:
1) Eine korrupte und bestochene politische Führung, die mit den reichen Ländern gegen die eigene arme Bevölkerung kooperiert: Dies bringt Haß und Gegenwehr, die von den Reichen zu Terror als gemeinsamen Feind aufgebaut werden. Gleichzeitig werden politische Führer auf jegliche Art unter Druck gesetzt, die nicht ausreichend kooperieren.
2) Not, Elend und Hoffnungslosigkeit der unschuldigen Zivilbevölkerung, auch durch eine Bekämpfung des selbst geschaffenen Terrors, die ihn nur noch verstärkt.
3) Armut aus Mangel an Naturressourcen, weil diese exportiert werden müssen: Beispielsweise muss Brasilien in großem Ausmaß Agrarprodukte ausführen und gleichzeitig Bürger hungern lassen. Brasilianische Pflanzen werden in europäischen Tierfabriken und als Biotreibstoff in verschwendenden zu schweren und schnellen Kraftfahrzeugen vergeudet. So strebt Österreich bis 2020 einen biogenen Anteil des Treibstoffs von 20% an, ohne sich zu fragen, woher er kommen soll, welche Folgen sein Import hat und wie der Treibstoffverbrauch gesenkt werden könnte.
4) Die Bevölkerung wächst oft
stärker, als die Wirtschaft: Armut und hohe Geburtenraten schaukeln einander hoch.
5) Billigstimporte massenproduzierter Fertigwaren aus reichen Ländern unterbieten die inländische Produktion und heben die hohe Arbeitslosigkeit weiter an: Eigene Produktionen bringen nur mit niedrigsten Löhnen, Arbeits- und Umweltstandards als Export in reiche Länder Gewinn.
Dabei gerät diese neoliberale Abwärtsspirale von sich gegenseitig verstärkendem Reichtum und Armut bei gleichzeitiger Erschöpfung der Naturressourcen und wachsender Gewalt immer mehr außer Kontrolle und droht sich erst bei globalen Gesamtzusammenbrüchen wie Weltkriegen oder großräumigen Naturkatastrophen zu erschöpfen.

V. Von der nivellierenden Marktfreiheit zur
differenzierenden Menschenfreiheit

Daher ist ein rasches und beherztes Umsteigen von der Freiheit des Marktes zu einer Freiheit des Menschen notwendig, die dort endet, wo dieselbe Freiheit des anderen Menschen beginnt. Die an die jeweils unterschiedlichen Traditionen anknüpfende Vielfalt eigenständiger und unverwechselbarer Kulturen in jedem Land kann nur mit seiner Freiheit wiedergewonnen werden, die eigene Kultur selbst gestalten zu können - ohne Fremdbestimmung und Zwangsbeglückung von außen. Dies meint zumindest fünf Freiheiten:
1) Die Freiheit, die Standards und Normen aller im eigenen Land angebotenen Güter und Dienstleistungen selbst bestimmen zu können, also nicht nur die Produktion, sondern auch den Konsum im Inland auf die typisch eigene Weise selbst zu gestalten: Eigenwillige heimische Produkte brauchen auch ohne große Stückzahlen neue Chancen gegenüber menschenunwürdig oder umweltschädlich hergestellten oder transportierten Importen.
2) Die Freiheit, den Verbrauch an Naturressourcen der eigenen Bürger schrittweise auf das Angebot des eigenen Landes zu reduzieren bzw. auf die Menge, die mit diesem Angebot eingehandelt werden kann: Es geht nicht an, den eigenen Wohlstand aus den Naturgütern anderer Länder zu gewinnen und deren Bürgern die Möglichkeit zu rauben, dies mit ihren eigenen Naturgütern zu tun. Es gilt, keinen eigenen Beitrag mehr zum unverdienten Wohlstandsgefälle zwischen armen und reichen Ländern zu leisten. Belohnt würde dies durch die Unabhängigkeit von globalen Ressourcenverteilungskämpfen und die Entlassung aus der Verpflichtung, Wirtschaftsimmigranten aus armen Ländern aufzunehmen.
3) Die Freiheit zu kostengerechten Preisen, die umweltschädliche wie unsoziale Güter und Dienstleistungen teurer, arbeits- und wissensintensive dagegen billiger machen, ohne Veränderung des Gesamtpreisniveaus: Mit dem Flugzeug über tausende Kilometer transportierte bzw. agrarindustriell erzeugte Nahrungsmittel etwa müssen ausreichend teuer gegenüber heimischen bzw. umweltverträglich hergestellten werden. In die Produktion und den Transport eines Kilogramms dieser Importe flossen oft mehrere Kilogramm Erdöl. Mit einem relativ teuren, weil kostengerechten Verkehr würden sich nicht nur die Länder, sondern auch Regionen und Orte wieder weitgehend selbst
versorgen können. Dörfer würden sich wieder mit eigenen Geschäften, Gasthäusern, Handwerk, Schulen, Post und sonstiger Versorgung füllen und den Bewohnern Einkommen bringen, die eine eigene Kultur entwickeln können.
4) Die Freiheit jedes Landes, seine Bevölkerungsgröße selbst bestimmen zu können: Damit ist die Möglichkeit gemeint, die zur mehrheitlich gewünschten Bevölkerungsgröße erforderlichen Rahmenbedingungen selbst zu wählen.
5) Letztlich wird es auch notwendig werden, sich vom immer dominanteren Geldsystem frei zu spielen: Etwa durch die Einführung von Ressourcenzertifikaten, mit deren Hilfe der Verbrauch von Naturressourcen genügend gesenkt und gerecht unter den Bürgern verteilt wird. Derartige Zertifikate entsprächen einer eigenen, nicht inflationären, nicht zu hortenden und an die knappste Ressource - die Natur - gebundenen Währung . Sie würde die Wirkung des Geldes auf seine wichtigste Funktion, die Tauschfunktion reduzieren. Hans Peter Aubauer: Kulturelle Vielfalt statt überall das Gleiche
Je später aus dem alles nivellierenden Fundamentalismus der grenzenlosen Marktfreiheit ausgebrochen und gezielt auf eine Kulturvielfalt schaffende Menschenfreiheit umgestiegen wird, umso schwieriger wird dies, bis es gar nicht mehr möglich ist, weil ein überall gleicher Kampf um das nackte eigene Überleben alles andere verdrängt.

Vortrag gehalten in Feldkirch, am 2.9.2007, erschienen in: Zeitfragen Nr. 39, Oktober 2007 (www.zeit-fragen.ch)
(1) H.P. Aubauer, 2006, "A just and efficient reduction of resource throughput to optimum" Ecological Economics, 58, 637-649. www.sciencedirect.com
(2) H.P. Aubauer, 2006: "Ökologische, globalsolidarische und soziale Zügel für den Kapitalismus" in "Weltreligionen und Kapitalismus" (Ed.) H. Knoflacher u. a. ; echomedia Verlag Wien.

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