Arge Ja zur Umwelt, Nein zur Atomenergie



Herstellung medizinischer Radioisotope mit Teilchenbeschleunigern

Produktion medizinischer Radioisotope
ohne Reaktoren

Die in der medizinischen Diagnostik häufig verwendeten Radioisotope werden heute großteils in kleinen Atomreaktoren, sogenannten Forschungsreaktoren, erzeugt. Den Großteil der Zeit werden diese allerdings für Kernforschung eingesetzt, doch die Nuklearindustrie nützt die Produktion von medizinischen Radioisotopen als willkommene Werbung für die Unverzichtbarkeit solcher Reaktoren – zu Unrecht, denn Radioisotope können mittels Teilchenbeschleunigern kostengünstiger hergestellt werden.

Radioisotope, auch Radionuklide genannt, sind instabile Atomkerne, die durch die Abgabe von Energie in Form von ionisierender Strahlung zerfallen (Radioaktivität), bis sie sich in stabile Atomkerne umgewandelt haben. Die Dauer dieses Zerfalls kann zwischen Sekundenbruchteilen und Milliarden Jahren betragen. Es gibt natürliche Radioisotope, wie das im Gestein vorkommende Uran, oder künstlich produzierte. Insgesamt sind etwa 1600 Radioisotope bekannt.

Radioisotope werden in der Medizin vor allem für bildhafte Diagnoseverfahren benutzt, sie werden aber auch therapeutisch eingesetzt. Die einzigartige Möglichkeit, den Weg beliebiger Substanzen durch den Körper von außen zu verfolgen, zahlreiche niedrig konzentrierte Stoffe in Körperflüssigkeiten nachzuweisen, oder Tumore zu lokalisieren, hat zu einer rasanten Entwicklung von entsprechenden Verfahren geführt. Dazu gehören die Szintigrafie, die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und das SPECT-Verfahren ( single photon emission computed tomography). Die Computertomographie (CT) hingegen funktioniert mit Röntgenstrahlen, die nicht durch radioaktive Zerfallsprozesse entstehen.

Etwa 80 bis 90 Prozent der medizinisch genutzen Radioisotope werden heute in kleinen Atomreaktoren, sogenannten Forschungsreaktoren, hergestellt, der Rest in Teilchenbeschleunigern. Weltweit sind derzeit 232 Forschungsreaktoren in Betrieb, einer läuft auch seit 1962 im Atominstitut der Technischen Universität im Wiener Prater. Die meisten Reaktoren werden rein für Forschungszwecke verwendet, nur 78 werden überhaupt für die Produktion von Radioisotopen eingesetzt, und mehr als die Hälfte von diesen sind schon über vier Jahrzehnte alt.

Nicht immer wurden medizinische Radioisotope mit Reaktoren produziert. Bis in die 50er Jahre erfolgte die Erzeugung mit Teilchenbeschleunigern. Erst das große Interesse einiger Regierungen vor allem an militärischen Anwendungen der Nuklearforschung führte ab der Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem Boom von großzügig subventionierten Forschungs-Atomreaktoren, die zu einer reichlichen Versorgung des Marktes mit billigen Isotopen führten, und Teilchenbeschleuniger weitgehend verdrängten. Politik und Nuklearindustrie nützten das Argument der medizinischen Versorgung auch, um die kostspieligen und wegen des hochradioaktiven Abfalls problematischen Reaktoren öffentlich zu rechtfertigen.

Gegenwärtig stammen allerdings 95% der weltweit reaktorproduzierten Isotope aus nur fünf Reaktoren - in Belgien, Kanada, Frankreich, den Niederlanden und Südafrika. Diese Reaktoren müssen wegen ihres hohen Alters (43-52 Jahre) oft für Wartungsarbeiten außer Betrieb genommen werden. Dies führte seit 2007 erstmalig zu mehreren ernsten Versorgungsengpässen, und einer Diskussion darüber, ob der Neubau von Reaktoren wirklich der beste Weg zu einer sicheren und kostengünstigen künftigen Versorgung sei.

Atominstitut im Wiener Prater

Atominstitut im Wiener Prater

Die Alternative: Teilchenbeschleuniger oder „Zyklotronen“

Ein Teilchenbeschleuniger ist ein Gerät, in dem geladene Teilchen – z.B Elementarteilchen oder Atomkerne - durch elektrische Felder auf hohe Geschwindigkeiten beschleunigt werden und dadurch ein Vielfaches an Energie gewinnen. Im Jahr 1932 gelang es John Cockcroft und Ernest Walton auf diesem Wege erstmals, eine künstliche Kernreaktion auszulösen. Fast gleichzeitig wurden Teilchenbeschleuniger entwickelt, in denen die Teilchen nicht auf einer linearen, sondern spiralförmigen Bahn beschleunigt werden. Diese Geräte werden „Zyklotronen“ genannt. Bis in die 50er Jahre wurde der Großteil der medizinischen Radioistope so produziert.

Die Vorteile von Zyklotronen gegenüber Reaktoren sind beträchtlich, was Sicherheit, Kosten und Abfall betrifft. Reaktoren sind große und komplexe Maschinen, die 24 Stunden pro Tag laufen. Die Kettenreaktion im Reaktorkern muß durch mehrere Schichten Abschirmung und durch Notabschaltungsprogramme gesichert werden. Der produzierte Abfall hat eine Radioaktivität über mehrere Millionen Jahre. Teilchenbeschleuniger hingegen werden nicht durch die Uran-Kernspaltung in Kettenreaktion, sondern elektrisch betrieben, was die Sicherheit beträchtlich erhöht. Sie produzieren nur ca. 10% von der Abfallmenge eines Atomreaktors, und dieser Abfall, als auch die später zu entsorgenden Teile, sind wegen ihrer schwachen Radioaktivität auch wesentlich ungefährlicher. Schließlich besteht auch keine Gefahr einer Weiterverbreitung atomwaffenfähiger Stoffe, da kein hochangereichertes Uran verwendet wird. Teilchenbeschleuniger kosten nur einen Bruchteil von Atomreaktoren, und nehmen weniger Raum ein. Die Größe eines Geräts für die Produktion medizinischer Radioistope variiert je nach gewünschter Kapazität, die kleinsten sind auf einem Schreibtisch unterzubringen, die größten in einem Raum von der Größe eines Klassenzimmers. Dadurch können Zyklotrone dezentral in den Spitälern eingesetzt werden, was auch die Versorgungssicherheit erhöht.

Eine gewisse Herausforderung für diese Technik war bisher, daß nicht alle in Reaktoren produzierten Radioisotope auch mit Teilchenbeschleunigern erzeugt werden können. Allerdings kann laut neuen Forschungen für praktisch alle benötigten Anwendungen gleichwertiger Ersatz durch andere Radioisotope angeboten werden. Das am häufigsten verwendete Radioisotop Technetium 99, mit dem 80-90% aller nuklearmedizinischen Anwendungen weltweit durchgeführt werden, kann jedenfalls leicht mit Zyklotronen hergestellt werden.

Zukunftsweisende Entscheidung für Zyklotronen in Kanada

Laut der internationalen Atomenergie- Agentur IAEA sind derzeit weltweit sieben Forschungsreaktoren geplant oder in Bau. Einer davon, der Pallas-Reaktor, ist in den Niederlanden als Ersatz für den alten High-Flux Reaktor kurz vor Baubeginn. Die geschätzen Kosten dafür betragen 500 Millionen Euro. Die Fertigstellung ist für das Jahr 2018 prognostiziert. Einen anderen Weg geht Kanada, das technologischer Vorreiter in der Entwicklung von Radioisotopen mittels Teilchenbeschleunigern ist. Nach einer intensiven Debatte beschloß die Regierung, die Pläne zum Bau eines neuen Forschungsreaktors aufzugeben und stattdessen eine dezentrale Versorgung der Spitäler mit Teilchenbeschleunigern anzustreben. Geplant ist ein nationales Netzwerk von acht über das Land verstreute Zyklotronen, das innerhalb von zwei bis vier Jahren den gesamten nationalen Bedarf an Radioisotopen sicherstellen könnte. Die Kosten der kanadischen Teilchenbeschleuniger variieren zwischen 1,75 und 4,2 Millionen Euro, womit die nationale Versorgung viel früher und nur mit einem Bruchteil der Kosten des niederländischen Pallas-Reaktors erreicht werden kann. Die Dezentralisierung trägt außerdem zur Versorgungssicherheit bei, und eine Belastung der Umwelt mit hochradioaktivem Abfall wird vermieden. Angesichts dieser Tatsachen stellt sich die Frage, welche anderen Interessen noch im Spiel sind, falls Regierungen sich weiterhin für den Neubau von Reaktoren aussprechen. Der kanadische Weg sollte jedenfalls für andere Länder ein leuchtendes Beispiel sein.

(Neue Argumente Folge 116, November 2010)

produktion medizinischer radioisotope ohne atomreaktorenDieser Artikel ist eine Zusammenfassung einer 21-seitigen Sonderausgabe des „Nuclear Monitor“ Nr. 720/711 Juni 2010, Wise Amsterdam, zum Thema „ MEDICAL RADIOISOTOPES PRODUCTION WITHOUT A NUCLEAR REACTOR“. Als Hauptquelle wird eine Studie gleichen Titels von Henk van der Keur/ Laka Foundation genannt, die am 22.5.2010 veröffentlicht wurde (holländisch)
Die englische Fassung der Studie
 

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